Zahlt die Haftpflicht den Neuwert oder den Zeitwert?
Eine Haftpflichtversicherung bietet in erster Linie dem Versicherungsnehmer finanziellen Schutz, indem sie dessen Vermögen bei berechtigten Schadensersatzforderung vor Dritten schützt. Aber auch Geschädigte von Unfällen und einfachen Sachschäden können auf einen angemessenen Ersatz ihres Schadens hoffen, sobald der Verursacher eine entsprechende Haftpflichtabsicherung vorweisen kann. Allerdings setzen die Versicherungen alles daran, ihre Kosten bei der Schadensregulierung so gering wie möglich zu halten. Daher zahlen die Versicherer im Haftpflichtschaden lediglich bis zur vertraglich vereinbarten Deckungssumme und auch nur in dem Rahmen, der ihnen gesetzlich vorgegeben wird. Für den Geschädigten beziehungsweise Empfänger der Schadensersatzforderung stellt sich in diesem Zusammenhang natürlich die Frage, ob er der Zeitwert, der Wiederbeschaffungswert oder sogar den Neuwert eines Sachschadens ersetzt wird.
Zeitwert und Wiederbeschaffungswert in der Haftpflicht
Die Haftpflichtversicherungen zahlen bei Sachschäden in den meisten Fällen lediglich den Zeitwert und nicht den Neuwert. Der Zeitwert beschreibt den aktuellen Wert einer Sache und ist demnach der Neuwert abzüglich des Wertverlustes (Wertminderung durch Gebrauch und den Faktor Zeit). Der Geschädigte erhält damit die Möglichkeit, sich auf Gebrauchtmarkt gleichwertigen Ersatz zu beschaffen. In der Regel ist der Zeitwert als Entschädigung auch ausreichend, da ein zusätzlicher kostenintensiver Wiederbeschaffungsauswand fehlt. Zeitwert plus Wiederbeschaffungsaufwand entsprechen dann dem sogenannten Wiederbeschaffungswert.
Allerdings ist eine sogenannte Zeitwertentschädigung nicht immer angemessen und rechtens. Bei seltenen Sammlerstücken, Oldtimern, Kunstgegenständen usw. ersetzt der reine Zeitwert nicht den Schaden. Um in derartigen Fällen den Opfern gerecht zu werden, müsste vielmehr der Wiederbeschaffungswert für die Schadensregulierung angesetzt werden. Daher prüft die Versicherung (im Streitfall ein Gericht) den Einzelfall und entscheidet über die Höhe der Zahlungen. Auch bei stark beschädigten Fahrzeugen müssen von der Haftpflicht in der Regel die Wiederbeschaffungskosten (abzüglich des Restwertes) getragen werden, wie in den AKB (Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung) vereinbart. Allerdings werden die Versicherer in Schadensfällen, bei denen eine Reparatur erheblich günstiger ist, lediglich die Kosten für die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes bezahlen. Jedoch darf an diese Stelle der Restwert nicht abgezogen werden, insofern der Geschädigte sein Fahrzeug nach der Reparatur weiter benutzt. Anders sieht es bei einem Unfall mit Totalschaden aus. In solch einem Fall wird von der Kfz-Haftpflicht des Unfallgegners - nach Abzug des Restwertes - der Wiederbeschaffungswert, welcher dem durchschnittlichen Händlerverkaufspreis entspricht, ersetzt.
Grundsätzlich darf der Betroffene eines Unfalles oder Missgeschickes nicht schlechter gestellt sein als vor dem Schadensereignis. Dies wird unter anderem im Bürgerlichen Gesetzbuch § 249 (Art und Umfang des Schadensersatzes) geregelt. Zumindest ist der Schadensverursacher (also der Versicherungsnehmer) in der Pflicht und muss für angemessenen Ersatz bzw. Wiederherstellung des alten Zustandes sorgen. Ob die jeweilige Haftpflichtversicherung das auch so sieht und laut Vertrag überhaupt verpflichtet ist, steht auf einem anderen Blatt. Daher gibt es in der Praxis relativ viele Prozesse vor Gericht, die diese und andere Streitfragen dann klären.
Zahlen die Haftpflichtversicherungen auch den Neuwert?
Der Geschädigte hat bei materiellen Gütern, die bereits in die Jahre gekommen sind, nur selten einen Anspruch auf den Neupreis einer Sache, da eine Bereicherung durch einen Haftpflichtschaden ausgeschlossen werden soll. Ein gebrauchter Gegenstand hatte bereits durch den Faktor Zeit einen wirtschaftlichen Nutzen für den Geschädigten. Demnach wird bei der Schadensregulierung auch meist nur der Zeitwert angesetzt und nicht der Neuwert. Zwar hat das Opfer Anspruch auf angemessenen Ersatz, jedoch nicht auf den vollen Preis. Mit dem ausgezahlten Geld der Versicherung kann sich der Betroffene eine gleichwertige gebrauchte Sache erwerben, die seinem Schaden zumindest finanziell gerecht wird. Manche Haftpflichtversicherungen ersetzen jedoch auch aus Kulanz bis zu einem bestimmten Alter (ein paar Wochen oder Monate) den Neuwert bzw. günstigsten Neupreis.
Eine Neuwertentschädigung ist auch bei allen Sachen und Gütern denkbar, die nicht gebraucht erworben oder verwendet werden können. So ist beispielsweise ein Fall bekannt geworden, bei dem ein Geschädigter für seine kaputte Brille (ca. 5 Jahre alt) den Neuwert einklagen konnte. Das Gericht argumentierte mit einem fehlenden Gebrauchtmarkt für Brillen und die Haftpflicht des Schadensverursachers musste den vollen Preis zahlen. Dieser Umstand ist vor allem deshalb interessant, da Haftpflichtversicherungen bei Brillen im Regelfall lediglich einen sehr niedrigen Zeitwert ansetzen oder nach ein paar Jahren gar nichts mehr zahlen. Problematisch kann laut Gericht jedoch eine nicht mehr aktuelle Sehstärke sein. Ist also der Gebrauchswert der Brille vor dem Unfall bereits reduziert, kann auch nicht der Neupreis eingeklagt werden. Da es sich beim dem genannten Urteil letztlich um einen Einzelfall handelt, kann man bei beschädigten Sehhilfen nicht automatisch den Neuwert verlangen. Im Grunde ist für jedes Schadensereignis eine Einzelfallentscheidung notwendig. Zudem besteht auch immer die Gefahr, dass andere Gerichte selbst bei identischen Fällen anders urteilen.